Abstatt hört die Bibel
ABSTATT (Dekanat Marbach) – Eine verrückte Idee – doch mit Hilfe von
Spezialisten hat die Kirchengemeinde ein besonderes Projekt zum
Reformationsjubiläum auf die Beine gestellt: Innerhalb weniger Monate
haben rund 200 Menschen das Neue Testament und die Psalmen gelesen,
aufgenommen und als Hörbuch ins Internet gestellt. Davon profitieren
Gemeindemitglieder bis heute.
So funktioniert es, wenn auch mit Zeitverzögerung: Freiwillige wie Pfarrer Thomas Stuhrmann lesen ein, andere wie Irene Frank können das Neue Testament als Hörbuch nutzen. (Foto: Stefanie Pfäffle)
Eigentlich sei es verrückt gewesen, gibt Abstatts Pfarrer Thomas Stuhrmann offen zu: „So eine Aktion muss eigentlich viel länger vorbereitet werden.“ Doch es hat geklappt, und das nachhaltig: Die gelesenen Bibeltexte stehen auf einer Extra-Internetseite quasi als Hörbuch zur Verfügung.
Die Bibel in ihrer deutschen Übersetzung ist für Thomas Stuhrmann der größte Schatz der Reformation. Die Gemeinde wollte zudem zum Reformationsjubiläum etwas Eigenes schaffen. Im Januarurlaub kam dem Pfarrer dann die Idee, sie zu einem Hörbuch zu machen. Im Februar stimmte der Kirchengemeinderat der Idee zu, im März und April bildete sich die Arbeitsgruppe, die zum Schluss aus sieben Menschen bestand, und im Mai ging es dann auch schon los. „Bis zum 31. Oktober sollte alles geschafft sein, da wollten wir das mit einem großen Fest feiern“, sagt Stuhrmann.
Bürgermeister Klaus Zenth wurde als Schirmherr gewonnen, denn es sollte keine kircheninterne Aktion werden. „Es haben sich wirklich alle beteiligt, von Menschen, die sonst gar nichts mit Kirche am Hut haben, über alle Konfessionen hin bis zur mit damals 100 Jahren ältesten Einwohnerin“, freut sich Stuhrmann.
Natürlich lasen Zenth und seine Familie Kapitel ein, aber auch die Drittklässler der Grundschule, der Leiter des Altenheims, sogar die Missionarsfamilie in Indonesien ist dabei. Wer kann, nimmt seine Lesung einfach zu Hause mit dem Handy auf – als Anleitung dafür haben Jugendliche ein Video gestaltet –, bei anderen kommen die Helfer vorbei.
So auch bei Irene Frank. „Ich wollte unbedingt dabei sein, dachte aber zuerst, ich müsste dazu eine neue Lutherbibel kaufen und noch eine wollte ich nicht“, erzählt die 68-Jährige. Für sie wurde der Text extra groß kopiert, denn Irene Frank sieht nicht mehr besonders gut. Deswegen fällt ihr auch die Bibellektüre schwer. Früher hatte sie jeden Tag darin mit der entsprechenden Tageslosung gelesen, bevor sie ins Geschäft ging. „Jetzt strengt das selbst bei Großdruck zu sehr an.“
Deswegen ist sie auch gerne Nutzer des neuen Angebots. Als Irene Frank ins Krankenhaus muss, nimmt sie die CDs mit, die die Gemeinde in kleiner Stückzahl zusätzlich zum Internetangebot aufgelegt hat. „Mir ging es wirklich schlecht, aber ich habe in jeder freien Minute meine Kopfhörer aufgehabt und einfach zugehört. Das hat mich von den Schmerzen abgelenkt“, erzählt sie.
Die Bibel so zu hören sei unheimlich interessant gewesen. Manche Stimmen kennt sie, andere nicht. „Und ich hab sicher noch nie so viel Bibel am Stück gelesen, da war jetzt der Zusammenhang viel besser.“ Sie könne das nur jedem Kranken weiter empfehlen.
Thomas Stuhrmann strahlt, wenn er das hört. „Es gibt doch nichts Schöneres, als wenn Menschen in solchen Situationen Trost und Gottes Nähe erfahren“, findet der Pfarrer. Nicht umsonst spreche man vom lebendigen Wort. Die Bibel sei eben nicht nur Wissensvermittlung, sondern Gott spreche direkt zu einem.
Es war ein arbeitsreicher Weg bis dahin. Es mussten genügend Leser gefunden werden. Die Aufnahmen mussten mit Ansagen versehen, die Geräusche herausgefiltert, alles musste geschnitten werden. „Als ich zum Beispiel mit den Drittklässlern gerade fertig war, ertönte der Schulgong“, erzählt er kopfschüttelnd. Andreas Bach kümmerte sich um die ganze Computertechnik. Viele legten Nachtschichten ein, damit es klappt. Eine Woche vor dem großen Tag war sie dann tatsächlich fertig – die Abstatter Bibel mit 400 Kapiteln.
Natürlich sind die Nutzerzahlen seitdem zurückgegangen, doch noch immer wird das Angebot fleißig genutzt. Manche lauschen dem Podcast auf dem Weg zur Arbeit, Irene Frank entspannt dabei zu Hause im Sessel. „Es ist wirklich interessanter als selbst lesen“, findet die 68-Jährige.
Die Aktion hat etwas getan für die Gemeinde, für den ganzen Ort. „Ich empfinde es so, dass die Leute denken, da ist uns wirklich was gelungen, ein Kulturgut“, stellt der Pfarrer fest. Dazu habe man sich einlassen müssen, miteinander wirken. Viele berichten, wie gut ihnen auch das Lesen getan, sie angeregt habe, über Gott nachzudenken. „Ob das nachhaltig ist, weiß ich natürlich nicht.“ Nachhaltig ist die Aktion aber auf jeden Fall – denn Abstatt hat jetzt eine eigene Bibel.
Die Bibeltexte zum Hören finden Sie im Internet unter www.abstatt-liest-die-bibel.de